21 July 2021

Dienerin: Hinter dem Schilf

 Exodus 2,1-10


Ich habe nie hinterfragt.
Warum auch?
Es hat mich nie betroffen.
Es waren nur Die Da.
Die Anderen.
Ausländer.

Ich habe mich nie gekümmert.
Warum auch?
Es war weit weg.
Fast wie ein Gerücht.
Dachte nicht daran,
denn was war dran wichtig?
Es hat mich nie berührt.

Bis jetzt.
Plötzlich
trennt sich das Schilf
über ein schreiendes Kind,
eröffnet sich mir
eine Welt von Schmerz und Trauer.
Ich öffne den Korb
und sehe Leid
das ich nie an mich rangelassen hab.

Jetzt
ist es nicht mehr weit weg.
Jetzt ist es hier.
Tod und Verlust,
kinderlose Mütter,
dieses Kind, ausgesetzt
als letzte sterbende Hoffnung.

Vielleicht
kümmerte ich mich nie
weil es zu schwer ist.
Es ist zu viel.
Denn jetzt
wie kann ich zurück
und es einfach heschehen lassen?
Wie kann ich zurück
jetzt wo ich dieses Kind -
ein Kind wie meines -
gesehen habe,
verlassen zu seiner Rettung,
nur ein kleiner Teil des Leidens
das jeden Tag geschieht?

Ich habe nie hinterfragt.
Jetzt muss ich.
Ich habe mich nie gekümmert.
Aber jetzt habe ich gesehen,
und es ist mir nahegekommen,
und ich kann nicht mehr
zurück.

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[20. Juli 2021]


Wie viel Ungerechtigkeit lassen wir an uns vorbeigehen, weil wir nicht direkt betroffen sind? Manchmal brauchen wir die direkte Begegnung mit dem Leid, die direkte Konfrontation mit dem Unrecht, das geschieht, um es wirklich zu bemerken und ernstzunehmen. Das kann unangenehm sein aber ist heilvoll.

Der Pharaoh wollte die Israeliten in Schach halten und liess alle Jungen töten. Wie sahen das die "gewöhnlichen Ägypter"? Vielleicht war es für sie auch einfach weit weg. Waren ja "nur die Sklaven". Vielleicht war die Entdeckung des Mose so eine Begegnung, die die Perspektive geändert hat...


Bild von James Tissot

20 July 2021

Servant Girl: Parting The Reeds

 Exodus 2:1-10



I never questioned.
Why should I?
It never affected me.
It was always Them.
The Others.
Foreigners.

I never cared.
Why should I?
It was far away.
Almost like a rumour.
Didn't think about it,
because why should it matter?
It never touched me.

Until now.
Suddenly,
parting the reeds
to a screaming baby,
I part the curtains
to a world of pain and sorrow.
I open the basket
to suffering
I never let myself care about.

It's not far away
anymore.
It is right here.
Death and loss,
childless mothers,
this child left to drift
a last hope against hope.

Maybe
I never cared
because this is too hard.
It is too much.
Because now
how can I go back
and let this keep happening?
How can I go back
now that I have seen
this child just like mine,
abandoned for his safety,
a fragment of the suffering
that happens every day?

I never questioned.
Now, I must.
I never cared.
But now I have seen
and it's come close to me
and I cannot go back
to before.

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[20. July 2021]

Another one who wasn't on my list... XD I tell you, there are way more women in the Bible than we often realise. Today I led a workshop on my method of interpreting the Bible through identifying with figures in the text and writing poetry from their perspective - and this was our text. And I realised I had missed a bunch of women in here, namely the servant girls! So while everyone was writing I wrote too.

I considered the situation in Egypt with the Hebrews being persecuted, their boys murdered, and how the servant girl as an almost "ordinary" Egyptian might have perceived it. Often when we belong to the privileged group it's easy to ignore or overlook the oppression of other groups. Not even on purpose necessarily: it's simply not "on our radar", it doesn't affect us, we never even have to think about it. Or maybe we know but don't realise how terrible it actually is, maybe we even have our excuses to support the injustice.

Actually getting to know someone who is directly affected changes everything. Suddenly it comes much closer, we are confronted with the issue, we have to form an opinion, we have to grapple with our prejudices and maybe revise what we used to think. It's easier not to care when we don't need to come face to face with those who suffer.

So maybe the servant girl had her first brush with what was actually going on with the Hebrews, when she fished that basket out of the water. 

Picture: James Tissot

03 July 2021

Rizpa: Ich bin Mutter

 1. Samuel 21,1-17

 

Ich bin Trauer –
zerrissen von Verlust,
ein Loch in meinem Herzen
wo du einmal warst.

Ich bin Verlust –
allein nun, verlassen,
meiner Söhne beraubt –
grausames Menschenopfer
im Namen Gottes getan.

Ich bin Liebe, ausgegossen
aus gebrochenem Herzen,
fliessende Tränen
die dich nicht auferwecken können,
schützende Arme
die dich umhüllen
dass dich am Tag die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.


Ich bin Zorn
der kämpft für meine Kinder
gegen alle Gewalten der Natur,
wenn es sein muss: gegen Gott;
gegen die Verwesung,
gegen den Tod.

Ich bin Treue
mächtiger als Hass,
schärfer als ein Schwert,
stärker als der Tod;
ich ertrage jeden Sturm,
ertrage jeden Schmerz –
deine Beschützerin
über das Ende hinaus.

Ich bin Mutter.
Meine Liebe stirbt nie.
Ich würde den Tod töten
wenn ich es nur könnte.

Wo ist nun Gott?
Freut er sich über Menschenopfer?
Oder bekämpft sie den Tod mit mir?

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[Übersetzung 7. Mai 2021]

Bild von George Becker